Dramatische Zuspitzung der Lage: Die Gedanken sind vielerorts nicht frei

Andrew Copson, Präsident Humanists International, Foto: British Humanist Association, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Der „Freedom of Thought Report 2021“ zeigt eine extrem verschlechterte Menschenrechtslage von Humanist*innen und nichtreligiösen Menschen weltweit.

Waren es im vergangenen Jahr noch 106 Länder, in denen diese regelmäßig oder systematisch diskriminiert werden, so sind es in diesem Jahr schon 144, das entspricht einer Zunahme um etwa 36 Prozent. Dabei sind Formen der Benachteiligung und Diskriminierung sehr unterschiedlich ausgeprägt und reichen von systematischer Privilegierung von Religionen bis hin zur Einordnung nichtreligiöser Überzeugungen als Straftat, die mit der Todesstrafe sanktioniert werden kann.


Im letzten Jahre haben die Angriffe und Verfolgungen von Humanist*innen und anderen nichtreligiösen Menschen auf der ganzen Welt zugenommen. In Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Nigeria, Saudi-Arabien, Iran und Indien sind bekennende Humanist*innen sogar festgenommen und ermordet worden, manche sind einfach spurlos verschwunden.  Staatlich organisierte Razzien gegen nichtreligiösen Gemeinschaften werden aus Ägypten und Malaysia gemeldet.
Konkret listet der mittlerweile zehnte Freedom of Thought-Bericht 83 Länder auf, in denen Humanist*innen strafrechtliche Konsequenzen für Tatbestände wie Blasphemie oder den Abfall vom Glauben drohen, darunter sind 13 Länder, in denen diese als Kapitalverbrechen eingestuft werden und in sechs Ländern unter diesen kann die Todesstrafe verhängt werden.
In 39 Ländern der Welt besteht eine Staatsreligion. In 35 davon leitet sich die staatliche Gesetzgebung ganz oder teilweise aus dem Religionsrecht ab. Der Abfall vom offiziellen Glauben ist in 17 Ländern eine Straftat, die in 12 von ihnen mit dem Tode bestraft werden kann.  Zudem besteht besteht in 19 Ländern die Möglichkeit der Inanspruchnahme religiöser Gerichte, meist in familiären oder moralischen Angelegenheiten.
In 12 Ländern bagatellisieren oder schüren Regierungsvertreter oder staatliche Stellen offen Hass oder Gewalt gegen Nicht-Religiöse. Eine diskriminierende und einseitige staatliche Finanzierung von religiösen Institutionen oder Initiativen ist in 79 Ländern an der Tagesordnung. In 26 Ländern dürfen Nichtreligiöse bestimmte Ämter nicht ausüben. In 33 Ländern gibt es verpflichtenden Religionsunterricht ohne säkulare oder humanistische Alternative in staatlich finanzierten Schulen.

Zusätzliche Kriterien verstärken bedrückendes Ergebnis

Der deutliche Anstieg der Zahlen hängt auch mit neuen Parametern bei der Evaluation zusammen: Der diesjährige Bericht berücksichtigt erstmals zwei neue Rahmenbedingungen, die „Untergrabung humanistischer Werte“, die aufgrund bestimmter, wiederkehrender Probleme entwickelt wurden und in den Berichten vorausgegangener Jahre noch nicht erfasst wurden. Dabei geht es um einen dominierenden Einfluss von Religion auf das öffentliche Leben, der das Recht auf Gleichstellung und/oder Nichtdiskriminierung untergräbt. Dieser wurde in 24 im Jahr 2021 untersuchten Ländern festgestellt. Er betrifft häufig die Rechte von Frauen und Menschen aus LGBTQ-Gemeinschaften.
Außerdem werden erstmals diffus geregelte Klauseln zur Kriegsdienstverweigerung berücksichtigt, die dazu führen, dass Frauen und LGBTQ-Menschen bestimmte Rechte und Ansprüche verweigert werden.
Die Veröffentlichung des diesjährigen Berichts fiel nicht zufällig mit dem 40. Jahrestag der Verabschiedung der Erklärung der UN-Generalversammlung zur Beseitigung jeder Form von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung zusammen. Der Report macht deutlich, dass es noch ein langer und steiniger Weg bis zur wirklichen Umsetzung nötig ist.
Andrew Copson, Präsident von Humanists International, stellt bei der Veröffentlichung des Berichts fest: „Der diesjährige Freedom of Thought Report ist wieder einmal eine düstere Lektüre. Darin beschreiben wir die Diskriminierung, der Humanist*innen und andere nichtreligiöse Menschen weiterhin ausgesetzt sind, weil sie es wagen, ihren Glauben auszudrücken und zu versuchen, nach ihrem Gewissen zu leben. Nicht-Religiöse sind eine der am stärksten verfolgten Gruppen weltweit. Aber sie sind auch eine der am wenigsten sichtbaren und ihre Verfolgung gehört zu den am wenigsten gemeldeten. Wir begrüßen diesen Bericht und hoffen, dass er Regierungen sowohl im Vereinigten Königreich, als auch im Ausland dazu bewegen wird, dem Schutz der Religions- und Glaubensfreiheit für alle Priorität einzuräumen.“
Eine Weltkarte mit detaillierter Übersicht aller einzelnen Länder, Bewertungssystem, die Statements der Autor*innen und bedeutender Humanist*innen dazu sowie alle Hintergründe und Analysen sind hier zu finden: https://fot.humanists.international/

Humanist*innen helfen Humanist*innen

Die Humanists International sind der Dachverband aller humanistischen, atheistischen und säkularen Organisationen auf der ganzen Welt. Er setzt sich international für den Schutz nichtreligiöser Menschen ein, die von Verfolgung und Gewalt bedroht sind. Die Humanistische Vereinigung ist Mitglied der Humanists International und unterstützt die Erstellung des jährlichen Berichts. Sie wird dessen Ergebnisse einsetzen, um Menschen und insbesondere politische Akteure aufzufordern, mehr zum Schutz bedrohter Humanist*innen auf der ganzen Welt zu tun. Gemeinsam mit dem Dachverband engagiert sich die HV deshalb auch in dem Projekt „Humanists at Risk“, das Aktivist*innen hilft, die sich für humanistische Werte einsetzen. Zusätzlich hat das Humanistische Studienwerk die Initiative „Humanist Students at Risk“ ins Leben gerufen, um gefährdete humanistische Studierende dabei zu unterstützen, ihr Studium in Deutschland zu absolvieren.
Außerdem unterstützt die Humanistische Vereinigung mit dem „Humanist Shelter Program“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) betroffene Humanist*innen mit einen Schutzaufenthalt von bis zu sechs Monaten in Nürnberg, bei dem die Aktivist*innen ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend Hilfe bekommen.
Desweiteren hat die Humanistische Vereinigung K.d.ö.R. ein Hilfswerk gegründet, das Projekte der Entwicklungs- und Katastrophenhilfe in den ärmsten Ländern der Welt fördert: Die Humanistische Hilfe A.ö.R.. In Kooperation mit unseren langjährigen internationalen Projektpartner*innen setzen wir handverlesene Projekte um, die natürlich auch humanistische Gedanken und Überzeugungen transportieren und vor Ort festigen sollen.

Auch in Deutschland besteht Handlungsbedarf

Selbst wenn Humanist*innen und Nichtreligiöse in Deutschland keine offene Gewalt fürchten müssen und in Sicherheit leben können, attestiert der Freedom of Thought Report der Bundesrepublik weiterhin großen Nachholbedarf bei der Gleichbehandlung ihrer humanistischen Bürger*innen. Religion würde systematisch privilegiert, heißt es in dem Bericht – in Schulen, wo die Alternativen zum Religionsunterricht fehlen, in Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die – wie es zum Beispiel bei Krankenhäusern der Fall ist – mancherorts fast ausschließlich von kirchlichen Trägern betrieben werden, oder auch bei öffentlichen Gedenkveranstaltungen, wo Nicht-Religiöse wie selbstverständlich übergangen würden.
Dieser Befund deckt sich mit den Erkenntnissen des Berichts „Gläserne Wände“, der 2019 in seiner zweiten Auflage erschienen ist und auf 100 Seiten die Ungleichbehandlung nichtreligiöser Menschen in Deutschland aufzeigt. Der im Institut für Humanistische Politik veröffentliche Bericht ist hier als kostenfreies pdf erhältlich.


Der 10. Freedom of Thought Report kann hier als PDF heruntergeladen werden bzw. ist auf der Webseite von Humanists International umfangreich aufbereitet.

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