Die Bundestagswahl als „Wahl der Menschenrechte“

Felix Krauß, Vorstandsmitglied des NMRZ

Bei den jüngsten Demonstarationen waren auch die Menschenrechte ein wichtiges Thema.

Das Forum Menschenrechte sieht einen der wichtigsten Pfeiler unserer Demokratie bedroht und appelliert an alle Wähler*innen, extreme und populistische Positionen zu meiden. Außerdem leitet sie aus den Menschenrechten verschiedene Forderungen an die politischen Akteur*innen ab.

Dieser Winter ist ungewöhnlich stark politisch geprägt, alle Welt blickte in die USA auf den dortigen Regierungswechsel und in Deutschland läuft die heiße Phase des Wahlkampfs der vorgezogenen Bundestagswahlen. Dieses Mal ist etwas anders. Denn in Hinblick auf die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben viele Menschen Sorgen, dass etwas, was in Deutschland bislang als selbstverständlich galt, zunehmend in Frage gestellt wird, nämlich die elementaren und universellen Menschenrechte. Und die sind nicht weniger als die Grundlage unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Ordnung.

Eine der stärksten Stimmen in Sachen Menschenrechte ist hierzulande das Forum Menschenrechte, dass 1994 im Anschluss an die Wiener Menschenrechtskonferenz gegründet wurde und mehr als 50 große deutsche nicht-staatliche Organisationen vereint. Das sind soziale und gesellschaftliche, religiöse und weltanschauliche Gruppen wie zum Beispiel Rotes Kreuz, DGB, Amnesty International, deutsche UNESCO-Kommission, Brot für die Welt, Friedrich Ebert Stiftung sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband, zu dessen Mitgliedern auch die Humanistische Vereinigung gehört.

Gemeinsam hat dieses breite Spektrum einen Aufruf an alle Wähler*innen gestartet, sich mit ihren Stimmen für eine Gesellschaft zu entscheiden, in der Menschenrechte für alle gelten. Die anstehende Bundestagswahl wurde zur „Wahl der Menschenrechte“ erklärt.

https://www.forum-menschenrechte.de/bundestagswahl-2025-das-mindeste-was-wir-erwarten-2/

Warum dem Forum dies im Moment nötig scheint und nicht mehr selbstverständlich ist, wie es ja eigentlich in der deutschen Verfassung steht, das erklärt Felix Krauß, Vorstandsmitglied des Nürnberger Menschenrechtszentrums (NMRZ):

 

Herr Krauß, warum sehen das NMRZ und das Forum Menschenrechte die Notwendigkeit, die jetzt anstehende Bundestagswahl zu einer Wahl der Menschenrechte zu erklären?

Felix Krauß: „Wir sind uns ganz einig, dass wir gerade eine massive und auch immer weiter voranschreitende Verschlechterung der Menschenrechtslage in Deutschland beobachten. Und da sehen wir, dass Menschenrechte in den Wahlprogrammen, aber auch vor allem in der politischen Kommunikation und im Wahlkampf der Parteien und der politischen EntscheidungsträgerInnen eine immer untergeordnetere Rolle spielen und tatsächlich überlagert und verdrängt werden von extremeren und populistischen Positionen. Und da müssen wir ganz entschieden entgegentreten."

Das NMRZ unterstützt auch die konkreten Forderungen des Forums Menschenrechte, die in einem neunseitigen Dokument zusammengetragen wurden. Lassen sich diese kurz zusammenfassen beziehungsweise welches sind die wichtigsten Punkte einer menschenrechtsgeleiteten Politik?

FK: Wir haben uns da mit 50 anderen Mitgliedern und Menschenrechtsorganisationen zusammengesetzt und haben einen ganz konkreten Forderungskatalog ausgearbeitet. Das steht alles unter der großen Überschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, Artikel eins, Absatz eins des Grundgesetzes. Das heißt, davon muss sich dann eine menschenrechtsbasierte Politik leiten und daran messen lassen. Und wir haben jetzt eben ganz konkrete politische Forderungen aufgestellt, das ist sehr vielschichtig, wie zum Beispiel: Wir fordern, dass wir eine Politik brauchen, die eine Gesellschaft gestaltet, in der Hass, Hetze, Gewalt und Diskriminierung nicht geduldet werden. Eine Gesellschaft, in der wir Geflüchteten menschenwürdig begegnen und sie auch menschenwürdig aufnehmen und nicht Menschen gegeneinander ausspielen. Des Weiteren dürfen wir Schwangerschaftsabbrüche nicht kriminalisieren, wir fordern auch ganz konkret zum Beispiel eine Reformierung der Schuldenbremse. Wir wollen außerdem, dass Privatvermögen und hohe Betriebsvermögen gerecht besteuert werden. Aber wir sagen auch ganz deutlich, dass wir bezahlbaren Wohnraum brauchen. Das heißt, hier setzen wir uns für eine Verschärfung der Mietpreisbremse ein, Einführung verbindlicher Sozialwohnungen, Quoten oder auch Unterkünfte für wohnungslose Menschen. Klimaschutz ist natürlich auch Menschenrechtsschutz, wir müssen es begreifen, dass wir das Klima schützen, um uns selbst zu schützen und dass das keine untergeordnete Rolle spielen darf. Ich könnte das alles noch viel weiter ausführen, aber, um es ganz kurz zu sagen, wir haben uns da tatsächlich viele, viele Gedanken gemacht und haben diese konkreten Forderungen aufgestellt und gehen jetzt mit diesen auf die Politiker*innen zu und versuchen, uns damit für eine menschenrechtsbasierte Politik einzusetzen."

Die Einhaltung und der Schutz der Menschenrechte sind ja in der Verfassung verankert. Also sollten sie ja eigentlich auch Grundlage jeder politischen Partei sein, sonst wären diese doch verfassungsfeindlich?!

FK: "Selbstverständlich muss sich jede Gruppierung, jede Initiative, Bewegung oder Sonstige in Deutschland an das Grundgesetz und die dort verankerten Menschenrechte halten und das gilt natürlich auch für politische Gruppierungen. Wenn das nicht so ist, dann ist es ein Fall für den Verfassungsschutz, der dann einschreiten muss, Informationen und Beweise sammeln muss und letztendlich kann dann auch eine politische Gruppierung verboten werden."

Und genau in dieser Diskussion stecken wir ja aktuell?

FK: "Genau, absolut. Da setzen wir uns auch konkret damit auseinander, inwiefern es aussichtsreich ist, die AfD tatsächlich zu verbieten."

Warum ist es aktuell so, dass scheinbar mehr Menschen und vor allem jüngere Menschen zu extremeren und Parteien und Positionen neigen?

FK: "Das sind jetzt keine Glaubenssätze, sondern wir wissen tatsächlich ja schon durch Studien, welche Indikatoren da eine Rolle spielen. Zum einen ist es der klare Zusammenhang mit sozialem Abstieg und der Angst vor einem sozialen Abstieg. Und wenn diese Angst vorherrscht, sei es, weil dieser Abstieg auch tatsächlich gegeben ist oder weil man einfach nur die Befürchtung davor hat, dann wählen die Leute eher extremere Parteien. Aber gleichzeitig haben wir natürlich auch ein politisches Kommunikationsdesaster der regierenden Parteien aber auch der oppositionellen Parteien erlebt, was zu einem massiven Vertrauensverlust geführt hat. Und wir sehen auch, dass Kompromisslösungen, das Fundament unserer Demokratie, immer mehr in Verruf geraten. Gleichzeitig, das trifft aber auf jeden Fall nicht nur auf junge Leute zu, leben wir immer stärker in digitalen Umfeldern, wo sich Radikalisierungstendenzen leichter verbreiten können und da Zuspitzungen erfolgen, die sich dann in so einer Art Echokammer wiederfinden, was zu sehr einseitiger Meinung führt und so Radikalisierungsprozesse stattfinden."

Wie können wir auf solche Desinformationskampagnen, auf diese Verschiebung von politischem Diskurs und auf populistische Argumente reagieren?

FK: "Mit ganz klarer Gegenposition, Das heißt, ganz kurz und klar benennen, warum dies oder jenes faktisch nicht stimmt, warum es menschenrechtsfeindlich ist, gegen das Grundgesetz verstößt und dann aber auch nicht an dieser Stelle stehen bleiben. Nachdem man es ganz kurz und klar benannt hat, dann konstruktiv dem Ganzen entgegentreten und konkrete Ansätze und Lösungsvorschläge darstellen und versuchen, mit dem Gegenüber zu einem konstruktiven Miteinander zurückzukommen."

Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um eine stabile, menschenrechtsorientierte Gesellschaft auch langfristig zu erhalten?

FK: "Wir müssen grundsätzlich erst einmal in unserer Kommunikation dahin kommen, dass wir die Menschen wieder mehr abholen, wo sie gerade sind. Das heißt, Menschenrechte, die Würde des Menschen, UN-Menschenrechtskonventionen - das sind ja erst mal große Begriffe für viele - die dürfen wir nicht irgendwie abstrakt stehen lassen, sondern müssen es runterbrechen, was diese für den Lebensalltag der Menschen bedeuten. Also: Was bedeutet eigentlich der offene Zugang und der gerechte Zugang zu Bildung für uns alle? Wollen wir ein medizinisches System haben, wo wir zum Teil Monate auf einen Platz warten, obwohl wir eigentlich eine akute Behandlung bräuchten? Was bedeuten die fatalen Preissteigerungen eigentlich für uns? All das sind zutiefst menschenrechtsgeleitete Fragen, die die Lebensrealitäten der Menschen betreffen. Und da müssen wir ansetzen und mit den Menschen Lösungsansätze erarbeiten. Und dazu, wenn ich das noch abschließend sagen darf, gehört natürlich auch, dass wir eine fundierte Menschenrechtsbildung brauchen und die muss ausreichend finanziert sein. Da brauchen wir dann die Parteien mit im Boot, die sich ganz klar zur Achtung der Menschenrechte bekennen und das wiederum in ihren politischen Forderungen auch so leben.

Und letztendlich müssen wir unsere Menschlichkeit bewahren. Das heißt, wir dürfen bei all den Zahlen und politischen Diskussionen die Menschen, die Gesichter dahinter nicht übersehen, die Einzelschicksale nicht übersehen. Das ist viel Arbeit. Es ist tatsächlich sehr anstrengend, sowohl individuell wie natürlich auch gesellschaftlich. Aber ich glaube, nur so können wir, jeder einzelne von uns, wie auch als Kollektiv, die Situation besser machen."

 

Das Interview wurde von Martin Bühner geführt.

Nachzuhören sind Teile des Interviews auch in unserem aktuellen humanistischen Podcast.

Bildquelle Menschenrechte: Menschenrechte_Wien Mabit1, CC BY-SA 4.0 httpscreativecommons.orglicensesby-sa4.0, via Wikimedia Commons

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