Unsere zehn Forderungen zur Verwirklichung der weltanschaulichen Neutralität staatlichen Handelns

In unserem 10-Punkte-Papier haben wir Forderungen an die Bundesregierung für eine gerechte, weltanschaulich neutrale Politik in Deutschland formuliert.
In unserem 10-Punkte-Papier haben wir Forderungen an die Bundesregierung für eine gerechte, weltanschaulich neutrale Politik in Deutschland formuliert.
Die Humanistische Vereinigung steht für eine pluralistische und tolerante Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen bzw. Religionen gut zusammenleben. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind wir Teil der subsidiären Kooperation zwischen Staat und pluralistischer Zivilgesellschaft. Wir kooperieren mit vielen Partner*innen, auch Kirchen und anderen Weltanschauungsgemeinschaften, um gemeinsame humanistische und humanitäre Anliegen zu verwirklichen, denn: Humanismus entsteht und lebt im praktischen Tun. Das deutsche Religions- und Weltanschauungsrecht (oft auch „Staatskirchenrecht“ oder „Religionsrecht“ genannt) bietet dafür prinzipiell einen guten Rahmen, da es Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichermaßen eine mitgestaltende Verantwortung überträgt, die einer starken Zivilgesellschaft und damit der Stabilität unserer Demokratie dient. Jedoch entsprechen manche der über Jahrzehnte gewachsenen politischen und rechtlichen Strukturen heute nicht mehr der religiös-weltanschaulichen Wirklichkeit in Deutschland. Sie tragen in vielen Bereichen zu einer Privilegierung der christlichen Kirchen bei. So sieht sich die HV immer wieder gezwungen, für die Anerkennung von Pluralität und für positive Gleichbehandlung zu streiten.
Unsere Forderungen:
Die Humanistische Vereinigung tritt für die weltanschauliche Neutralität des Staates als Heimstatt all seiner Bürger*innen ein, gleich welcher Religion oder Weltanschauung sie zugehören. Wir stellen uns deshalb Bestrebungen entgegen, religiöse Überzeugungen zum privilegierten Maßstab der Gesetzgebung oder des Zusammenlebens innerhalb unserer pluralen Gesellschaft zu machen. Wenn religiöse Praktiken individuelle Grundrechte verletzen oder Freiheitsrechte unzulässig einschränken, muss dies als Problem des Rechtsstaates benannt werden. Es sollte dem deutschen Staat ein vitales Anliegen sein, Sinnstiftung nicht länger exklusiv an die christlichen Kirchen zu delegieren. Vielmehr sollten auch andere Wertegemeinschaften einbezogen werden, die einen besseren Zugang zu dem wachsenden Anteil nichtreligiöser Menschen in der Bevölkerung haben, derzeit bereits etwa die Hälfte aller Bürger*innen in Deutschland.
Unsere Forderungen:
Das Befolgen religiöser Kleidungsvorschriften – auch in öffentlichen Ämtern – ist nach unserer Auffassung grundsätzlich Privatsache. Ausgenommen davon sollten bei Träger*innen herausragender öffentlicher Ämter, wie z. B. in der Rechtspflege, lediglich solche Bekleidungsformen sein, die zur Unkenntlichkeit der Gesichtszüge der Trägerin oder des Trägers führen, egal ob sie aus modischen oder religiös-weltanschaulichen Gründen angelegt wurden. Humanistische Religionskritik steht immer im Einklang mit humanistischen Werten. Herabwürdigende Äußerungen im Umgang mit Menschen anderer weltanschaulicher bzw. religiöser Auffassungen lehnen wir als Humanist*innen daher ab. Dennoch treten wir für eine Streichung des § 166 StGB (der sogenannte „Blasphemieparagraf“) ein, da er nicht die individuelle Religionsfreiheit schützt, sondern religiöse Autoritäten auf unangemessene Weise von Kritik abschirmt.
Unsere Forderungen:
Seit Aufstellung der Bundeswehr 1955 und Einrichtung der Militärseelsorge in Trägerschaft der katholischen und der evangelischen Kirche hat sich die weltanschauliche Zusammensetzung der Bundeswehr durch Wiedervereinigung, Pluralisierung und Säkularisierung der Gesellschaft stark gewandelt. Bereits im Jahresbericht 2019 des damaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels heißt es: „Nur noch etwa die Hälfte der Soldatinnen und Soldaten gehören einer der beiden christlichen Kirchen an. Fast genauso groß ist heute die Zahl der nicht-gläubigen Soldatinnen und Soldaten – Tendenz steigend.“ Es bedarf folglich der Einrichtung eines entsprechenden seelsorgerischen Angebotes für nichtreligiöse Soldat*innen. In den Niederlanden und in Belgien übernimmt diese Aufgabe seit Jahrzehnten erfolgreich die Humanistische Militärseelsorge, in Norwegen hat 2017 die erste humanistische Militärseelsorgerin ihren Dienst aufgenommen.
Unsere Forderungen:
In Deutschland leben immer mehr Menschen, die keiner Religion angehören, Gleiches gilt für die Anzahl der Studierenden an deutschen Hochschulen. Alle Studierenden müssen die gleichen Chancen auf finanzielle und ideelle Begabtenförderung erhalten. Begabtenförderwerke für Studierende nichtreligiöser Weltanschauungen (wie das Humanistische Studienwerk Robert Blum) sind deshalb in gleicher Weise durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zu fördern wie Begabtenförderwerke für Studierende christlichen, jüdischen oder muslimischen Glaubens. Alle Bürger*innen zahlen in den Etat des BMBF ein. Im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes müssen deshalb auch begabte humanistische Studierende von Bundesmitteln profitieren können.
Unsere Forderungen:
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15) steht die unverzügliche Erarbeitung und Verabschiedung eines neuen Sterbehilfegesetzes auf der Agenda des Deutschen Bundestages. Staat und Gesellschaft haben zu respektieren, dass zur autonomen Selbstbestimmung des Individuums auch die Verwirklichung des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod gehört. Die HV möchte mit ihrem Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid und zur Suizidpräventionsberatung betonen, dass Selbstbestimmung und Autonomie von Sterbewilligen einen hohen Stellenwert für uns haben, gleichzeitig aber sichergestellt sein muss, dass kein Missbrauch geschehen kann und der Sterbewunsch tatsächlich auf freiem Willen beruht. Nach unserer Auffassung ermöglicht es die Einführung einer Pflichtberatung durch eine unabhängige, qualifizierte nichtärztliche Stelle, die Spannung zwischen dem ethischen und rechtlichen Gebot des staatlichen Lebensschutzes und dem individuellen Selbstbestimmungsrecht aufzulösen.
Unsere Forderungen:
Der Freedom of Thought Report 2021 unseres weltweiten Dachverbandes Humanists International zeigt, dass viele Millionen Humanist*innen, Atheist*innen und andere nichtreligiöse Menschen in ihren Heimatländern diskriminiert und verfolgt werden, und zwar sowohl vonseiten des Staates wie auch ihrer Mitbürger*innen. Eine von den Humanists UK unterstützte Studie aus dem Jahr 2020 zeigt, dass insbesondere ex-muslimische Apostat*innen häufig Opfer physischer und psychischer innerfamiliärer und häuslicher Gewalt werden. Für die Studie wurden fast 230 Apostat*innen aus 30 Ländern befragt. Auch bei uns in Deutschland werden Flüchtlinge und andere Menschen, die sich von ihrem Glauben abgewandt haben, immer wieder misshandelt, geschmäht und gemieden, vielfach von ihren eigenen Landsleuten und in staatlichen Flüchtlingsunterbringungen.
Unsere Forderungen:
Viele Menschen leiden weltweit unter prekären und inhumanen Lebensbedingungen und haben keine fairen Entwicklungschancen. Die Humanistische Hilfe leistet seit 2019 – gemeinsam mit internationalen humanistischen Partnerorganisationen – humanitäre Entwicklungs- und Katastrophenhilfe in den ärmsten Ländern der Welt. Während die Evangelische und die Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe jedes Jahr eine „Globalbewilligung“, die keine formale Antragstellung für Einzelmaßnahmen erfordert, in Höhe von jeweils etwa 150 Millionen Euro erhalten, gibt es für junge Hilfswerke anderer etablierter und staatlich anerkannter Weltanschauungsgemeinschaften bisher kaum Aussichten auf öffentliche Mittel.
Unsere Forderungen:
Die Antwort auf die Frage in welcher Höhe Religionsgemeinschaften einschließlich der ihnen zuzurechnenden Einrichtungen aller Rechtsformen vom Bund und von den Ländern direkt oder indirekt gefördert werden, ist die Bundesregierung in parlamentarischen Anfragen schon vielfach schuldig geblieben, „da Religionsgemeinschaften und ihre zahlreichen Einrichtungen im Bundeshaushalt nicht systematisch gesondert erfasst werden“ (Antwort der Bundesregierung auf BT-Drucksache 19/25557). Seiner Verpflichtung (nach Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919), eine rechtliche Grundlage zur Ablösung der Staatsleistungen der Länder an die Religionsgesellschaften zu schaffen, kommt der Bund seit über 100 Jahren nicht nach. Eine „Eröffnungsbilanz“, die die 1803 verstaatlichten Kirchengüter bewertet, liegt ebenso wenig vor wie die genaue Summe der seither an die Kirchen geflossenen Entschädigungszahlungen bekannt ist. Schätzungen zufolge sollen seit 1949 etwa 20 Milliarden Euro Staatsleistungen aus allgemeinen Steuergeldern gezahlt worden sein. So lange durch ein transparentes Verfahren und eine unabhängige Kommission kein Gegenbeweis erbracht wird, geht die HV davon aus, dass mit den gezahlten Milliarden der Entschädigung mehr als Genüge getan ist. Ablösezahlungen in Milliardenhöhe, wie sie beispielsweise der Entwurf eines Grundsätzegesetzes der damaligen Oppositionsfraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vorsieht (BT-Drucksache 19/19273), sind daher eine unnötige Überkompensation. Die HV fordert die katholische und die evangelische Kirche im Interesse der Entlastung künftiger Generationen zu einem freiwilligen Verzicht auf weitere „Entschädigungszahlungen“ auf. Dadurch würde der Weg freigemacht werden, dem Verfassungsauftrag endlich gerecht zu werden und die Staatsleistungen nach dem Reichsdeputationshauptschluss nach über 200 Jahren einzustellen.
Unsere Forderungen:
Unsere Forderungen:
10-Punkte-Papier_HV_Weltanschauliche_Neutralitaet.pdf | 234 Kb | Stand: 14.02.2023 |
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Alle 3 Möglichkeiten funktionieren zumindest im Internet Explorer und im Mozilla Firefox, die Variante 1. ist auch bei vielen anderen Browsern Standard.